Twin-Transformation in der IT

Der Klimawandel stellt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit dar. Angesichts wachsendem Umweltbewusstsein und der Dringlichkeit, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, müssen Unternehmen ihre Praktiken überdenken – auch in der Softwareentwicklung. Traditionell auf Effizienz und Funktionalität fokussiert, muss diese nun auch ökologische Verantwortung übernehmen. Software, die ressourcenintensiv oder ineffizient ist, trägt erheblich zum globalen Energieverbrauch bei.

Nachhaltige Softwareentwicklung – Green Software Development – zielt darauf ab, den ökologischen Fußabdruck digitaler Lösungen in allen Phasen ihres Lebenszyklus zu minimieren. Dabei spielt die Twin-Transformation – die Verknüpfung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit – eine zentrale Rolle. Unternehmen, die diese doppelte Transformation vorantreiben, nutzen technologische Innovationen nicht nur zur Steigerung der Effizienz, sondern auch zur Erreichung ihrer Umweltziele.
Für Software-Entwickler bedeutet dies, Nachhaltigkeit gezielt in den Softwareentwicklungsprozess zu integrieren: Von der Wahl energieeffizienter Algorithmen bis zur bewussten Planung der Ausführung in stromsparenden Zeitfenstern. Softwareentwicklung wird so zum aktiven Hebel für Klimaschutz und Innovation.

Was verstehen wir unter Green Software?

Green Software versucht den ökologische Fußabdruck von Software-Entwicklung und Betrieb zu minimieren. Dazu definiert die Green Software Foundation drei zentrale Prinzipien:

  1. Energy Efficiency: Software wird so gestaltet, dass sie ihre Aufgaben mit minimalem Energieaufwand erledigt. Durch effiziente Algorithmen und optimierte Datenverarbeitung wird der Stromverbrauch gesenkt und damit auch die CO2-Emissionen.

  2. Hardware Efficiency: Hier geht es darum, die vorhandene Hardware optimal zu nutzen und ihre Lebensdauer zu verlängern. Dies reduziert den Bedarf an neuen Geräten und spart Ressourcen, was ebenfalls zur Nachhaltigkeit beiträgt.

  3. Carbon Awareness: Softwareprozesse werden zu Zeiten oder an Orten ausgeführt, an denen der Strommix besonder klimafreundlich ist. Dies minimiert den CO2-Ausstoß.

Green Software vereint diese Prinzipien, um nachhaltige, effiziente und umweltbewusste Lösungen zu schaffen. Ziel dabei ist nicht nur die Umwelt zu schonen, sondern auch langfristig Kosten zu sparen um Unternehmen eine Vorreiterrolle in Sachen Nachhaltigkeit ermöglichen.

Nun stellt sich jedoch die Frage, welches Prinzip sollte ich in meinem Unternehem priorisieren? Die Antwort liegt in der Formel zum Messen der Ökologie einer Software.

Lässt sich die Ökologie von Software messen?

Die Green Software Foundation hat dafür einen Score eingeführt – den SCI-Score. Diese Metrik misst die Kohlenstoffintensität von Software und gibt an, wie viel CO2-Emissionen pro funktionaler Einheit einer Software erzeugt werden. Er berechnet sich wie folgt:

SCI = (E * I) + M pro R

Dabei gilt:

  • E = Energieverbrauch in kWh
  • I = Kohlenstoffintensität der Energie: Das bedeutet Kohlenstoffausstoß in g/kWh, abhängig vom Strommix
  • M = Emissionen, die bei der Herstellung der Hardware entstehen, auf der die Software ausgeführt wird
  • R = Funktionale Einheit, z.B.: pro Container, pro Prozess, pro gestreamte Serie

Co2-Intensität nach Regionen auf app.electricitymaps.com/map

Wenn wir also anhand der SCI-Berechnung ein Prinzip auswählen, mit dem wir in die nachhaltige Transformation starten, haben wir den größten Hebel bei den Parametern E oder I. Der Parameter M spielt in der Gleichung dagegen nur eine untergeordnete Rolle, da die „CO2-Kosten“ einmalig anfallen. Verfolgen wir bei der Entwicklung eine Cloud-Strategie, wird dieser Parameter auf ein Minimum reduziert, da die Ressourcen dadurch optimal genutzt werden.

Betrachten wir zunächst den Parameter E, der sich auf das Prinzip 1 – Energy Efficiency – bezieht. Um die Effizienz der Software zu steigern, müssen beispielsweise Algorithmen optimiert oder effizientere Programmiersprachen verwendet werden. Eine komplette Überarbeitung der bestehenden Software erfordert jedoch erhebliche finanzielle Mittel. Zudem kann der CO2-Fußabdruck in der Übergangszeit schlechter sein, da Ressourcen für die Neuentwicklung benötigt werden und ein paralleler Betrieb erforderlich ist. Die konkreten Einsparungen an CO2 können nur geschätzt werden und sind auch von dem Parameter I abhängig.

Kommen wir nun zum Parameter I, der sich auf das 3. Prinzip – Carbon Awareness – bezieht. Hier versuchen wir, die Softwareausführung entweder geografisch oder zeitlich so zu verschieben, dass wir einen besseren Strommix zur Ausführungszeit haben. Die geografische Komponente zu ändern ist in den meisten Fällen jedoch aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht einfach umsetzbar. Auch wenn der Strommix in Schweden grüner ist, müssen Daten oft in Deutschland bleiben. Das führt uns zum Konzept des Time-Shifting, die zeitliche Komponente der Carbon-Awareness. Im nächsten Abschnitt betrachten wir, wie es funktioniert und welchen Impact es erzeugen kann.

Time-Shifting

Beim Time-Shifting konzentrieren wir uns auf die Tageszeit und die erneuerbaren Energien im Stromnetz zu dieser Zeit. Beispielsweise haben wir an einem sonnigen Sommertag zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang viel grüne Solarenergie im Strommix. Ein optimaler Zeitpunkt wäre wahrscheinlich zur Mittagszeit, wenn die Anzahl der g/kWh so gering wie möglich ist. Eine genaue Übersicht über den Strommix pro Stunde wird vom Fraunhofer Institut in den Energy-Charts dargestellt.

Angenommen, wir betrachten einen ETL (Extraktion, Transformation, Laden) Prozess mit einer Ausführungszeit von 1 Stunde, der normalerweise um 01:00 Uhr nachts ausgeführt wird, wenn keine Solarenergie vorhanden ist. Zu dieser Zeit liegt der Anteil erneuerbarer Energien im Strommix höchstwahrscheinlich bei maximal 60%. An sonnigen Sommertagen können wir jedoch bis zu 120% erneuerbare Energien im Netz haben. Finden wir einen Zeitpunkt, an dem der Anteil erneuerbarer Energien über eine Stunde lang 100% beträgt, können wir unseren Prozess komplett CO2-neutral ausführen. Darauf hat auch ein ineffizienter Algorithmus keine Auswirkungen.

Stromampel für Deutschland: Anteil erneuerbarer Energie

Welche Einsparpotenziale bietet Carbon-Aware Software Development?

Da die IKT-Branche aktuell für rund 4% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist, steht wir vor der doppelten Herausforderung, die Digitalisierung voranzutreiben und gleichzeitig die Emissionen von Software zu verringern. Im Jahr 2022 beliefen sich die weltweiten CO2-Emissionen auf etwa 37 Milliarden Tonnen, wovon allein die IKT-Branche für rund 1,5 Milliarden Tonnen CO2 verantwortlich war.

Ein erheblicher Teil dieses Potenzials zur Emissionsreduktion liegt im Time-Shifting. Gerade Unternehmen mit hohem Digitalisierungsgrad, deren Prozesse autonom und zeitunabhängig ablaufen, können durch Time-Shifting maßgeblich zur Reduktion von CO2 beitragen. Die Einsparpotenziale hängen dabei zwar von der spezifischen Struktur der Prozesse ab, doch Time-Shifting, bietet ein hohes Potenzial, um die globalen Emissionen effektiv zu senken.

Wie kann ich Time-Shifting in meinem Unternehmen implementieren?

Der erste Schritt wäre, die Prozesse zu identifizieren, welche 1 – 3 Mal täglich ausgeführt werden, aber zeitlich unabhängig sind. Beispiel: Ein Prozess kann um 20:00 Uhr oder um 4:30 Uhr durchgeführt werden, relevant ist hierbei nur, dass die Daten um 7:00 Uhr aktuell sind.

Wenn die Prozesse identifiziert wurden und vollständig digital ausgeführt werden können, gibt es verschiedene möglichkeiten und Plattformen, Time-Shifting für die Prozesse zu implementieren. Zum beispiel in ihrer Java-Individalsoftware, in Camunda BPMN, oder auch in ihrer individuellen Microsoft-.NET Anwendung. Wir von esentri unterstützen Sie gerne dabei geeignete Prozesse zu identifizieren, zu digitalisieren und auch bei der Implementierung von Time-Shifting.

In unserem nächsten Blogpost erklären wir Dir die technischen Details zur Implementierung von Time-Shifting

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Jannis Schalk, Senior Consultant esentri AG

Jannis Schalk
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